Nosferatu: Ein cinephiler Albtraum

Eggers' Ode an das Ungeheuerliche

Von Tom Hartig am

Robert Eggers, der Meister des atmosphärischen Horrors, hat sich mit "Nosferatu" an einen Klassiker gewagt. Sein Remake des Stummfilm-Meisterwerks von F.W. Murnau ist mehr als nur eine Neuverfilmung; es ist eine Hommage, eine Neuinterpretation, ja fast eine Beschwörung. Und was er da auf die Leinwand zaubert, ist ein hypnotischer, verstörender, wunderschöner Albtraum, der lange nach dem Abspann in den Knochen sitzt.

Eggers ist ein Visionär, ein Besessener. Er gräbt tief in die Geschichte, in die Folklore, in die Mythen, und er erschafft Welten, die so real und gleichzeitig so unwirklich sind, dass man sich als Zuschauer darin verliert. So auch in "Nosferatu". Die Welt des 19. Jahrhunderts, die er mit akribischer Detailtreue auferstehen lässt, ist greifbar, kalt, düster, fast schon klaustrophobisch. Man riecht den Staub, die Verwesung, die Pest, die Orlok, den Vampir, begleitet.

Grandiose Darsteller

Bill Skarsgård (Pennywise aus den neuen "Es"-Filmen) ist unter Tonnen von Make-up und in düsteren Gewändern kaum wiederzuerkennen. Sein Nosferatu ist keine verführerische Schreckgestalt, kein romantischer Blutsauger, sondern ein verrottendes, abstoßendes, aber gleichzeitig seltsam anziehendes Wesen. Seine Stimme, tief und grollend, kriecht unter die Haut und haust dort weiter, wenn man schon längst das Kino verlassen hat. Skarsgård ist eine Offenbarung, eine physische Manifestation des Bösen, die einen nicht mehr loslässt.

Aber "Nosferatu" ist nicht nur Skarsgårds Film. Lily-Rose Depp als Ellen Hutter ist das Herzstück, die emotionale Achse des Films. Eggers stellt Ellen in den Mittelpunkt, gibt ihr eine Tiefe und Komplexität, die in früheren Adaptionen fehlte. Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe zu ihrem Mann Thomas (Nicholas Hoult) und der dunklen Faszination, die von Orlok ausgeht. Depp spielt diese Zerrissenheit mit einer Intensität und Verletzlichkeit, die einen tief berührt.

Und dann wäre da noch Willem Dafoe. Obwohl er nur eine Nebenrolle spielt, ist er als Professor Von Franz ein Highlight des Films: Seine Performance ist gleichzeitig amüsant und überzeugend.

Die Inszenierung des Horrors

Eggers spielt gekonnt mit der bekannten Geschichte, verändert Perspektiven, fügt neue Ebenen hinzu, und verwebt geschickt Elemente aus Murnaus Film, Stokers Roman und Coppolas "Bram Stoker's Dracula" zu einem neuen, eigenständigen Ganzen. Dabei geht er über die reine Horrorkost hinaus und lotet die psychosexuelle Dimension des Vampirmythos aus. Ellens Unterdrückung, ihre unerfüllten Sehnsüchte, ihre dunkle Seite – all das wird von Orlok verkörpert und verstärkt. Der Film wird so zu einer Metapher für die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen, die Entdeckung der eigenen Sexualität, den Kampf gegen das Patriarchat.

Die Kamera von Jarin Blaschke weiß zu begeistern: Langfahrten, unruhige Bewegungen, extreme Nahaufnahmen. Eggers und Blaschke arbeiten meisterhaft mit Licht und Schatten und erschaffen so eine unheimliche, fast schon surreale Stimmung. Eggers lässt sich hier deutlich vom deutschen Expressionismus inspirieren – der Originalfilm von 1922 gilt als Paradebeispiel dieser Kunstrichtung.

Alles wird untermalt von einem Soundtrack (Robin Carolan), der mal bedrohlich dröhnt, mal melancholisch säuselt, und die Bilder zu einem hypnotischen Sog verwebt. Man wird in diesen Film hineingezogen, man versinkt in ihm, und man kann sich kaum wehren.

Natürlich ist "Nosferatu" nicht perfekt. Einige Kritiker bemängeln die Länge des Films und die Vorhersehbarkeit der Handlung. Andere finden die expliziten Gewaltszenen übertrieben. Aber all das tut dem Gesamteindruck kaum Abbruch. "Nosferatu" ist ein Film für Cineasten, für Horrorfans, für alle, die sich auf ein visuelles und emotionales Erlebnis einlassen wollen. Er ist anspruchsvoll, er ist verstörend, er ist wunderschön. Er ist alles, was ein guter Horrorfilm sein sollte, und noch so viel mehr.

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